Plage de Catalans

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Burgen und Sand

Sonntag, 9. März 2014:

Was für eine Nacht! Nach dem Richard anfangs ganz ruhig und friedlich geschlafen hat, konnte man eigentlich schon davon ausgehen, dass da noch was kommt. Dem war nicht so icon smile Plage de Catalans Richard hat die ganze Nacht durchgeschlafen und sich gut erholt. Auch den heutigen Vormittag macht er eine gute Figur. Kein Husten, kein Fieber. Dafür ist er permanent am quängeln und meckern. Aber ok – er hat ja auch was nachzuholen. So ist es uns allemal lieber.

Ich bin heute früh mal zum Bäcker gegangen, damit wir dieses “Am Wochenende gemeinsam frühstücken”-Ritual zelebrieren können. Vorgestern fragte ich mich noch, warum ich eigentlich kurze Hosten mitgenommen habe. Das Thema ist vom Tisch, es ist selbst in den frühen Morgenstunden schon angenehm warm. Die wenigen Leute auf der Straße tragen allerdings überwiegend lang und ich fall mal wieder auf (obwohl ich nur ein Karo anhabe). Nach und nach frage ich mich, ob die Leute alle Überbleibsel der letzten Nach sind. Ab und an wanken graue Gestalten an uns vorbei, die sich scheinbar gerade so auf den Beinen halten können. Ein zerknittert drein schauender Opa tritt mehrmals in Zeitlupe gegen einen Hydranten. Bei näherer Betrachtung scheinen es wohl eher Aufwärmübungen zu sein. Am Kaffee an der Ecke sitzt eine Frauenrunde. Doch halt! Das ist ja gar kein Kaffee, sondern ‘ne Kneipe. Trotzdem habe ich die Gegend schon lieb gewonnen. Es kommt mir vor, als wohnten wir schon ewig hier. Und das, obwohl ich kein Wort verstehe!

Ein Baguette und drei Süssigkeiten – macht 7,50€! Nicht schlecht. Dabei macht das Baguette keine besonderen Eindruck. Ich glaube nach längerem Aufenthalt auch endlich den Spruch “Essen wie Gott in Frankreich” verstanden zu haben: Man muss bestimmt Gottstatus besitzen, damit man hier was richtig Gutes zu essen bekommt. icon smile Plage de Catalans Ok, genug gemeckert…

Nach dem Frühstück fahren wir ins Zentrum. Unser Ziel heißt Plage de Catalan – eine Empfehlung von unserem Vermieter. Die Straßenbahn kommt erst in 10 Minuten und so beschließen wir direkt zum Bus zu laufen. Als wir einsteigen, bin ich noch etwas skeptisch. Ob Richard im Bus evtl. Terror macht, weil er nicht mit seiner geliebten Straßenbahn fahren darf? Ich glaube so ähnliche Gedanken gingen auch Richard durch den Kopf. Aber als wir losfahren, ist er total begeistert. Ich glaube Bus wird seine neue Straßenbahn icon smile Plage de Catalans

An der Endhaltestelle ‘Le Pharo’ steigen wir aus. Als ich den Busfahrer mit einem dahingestotterten ‘Pardong? Plaschh de Katalahn?’ konfrontiere. Bemerke ich an ihm nur ein kurzes Muskelzucken. Ich interpretiere es mal als Nicken, bin mir aber nicht sicher, ob die Haltestelle noch kommt, oder ob wir aussteigen sollen. Da wir in einer Seitenstraße das Meer sehen können, steigen wir aus. Die Entscheidung war richtig. Nach ein paar Metern erreichen wir den Plage de Catalans. Er ist sehr petit und erinnert mich an Strandmotive aus den 50ern.

An der Brüstung stehen Passanten, welche den Ausblick auf die Inseln Îles du Frioul und Château d’If genießen (habe bei der Recherche gerade gelesen, dass wir gestern in Cassis die höchste Klippe Europas bestaunen durften). Direkt darunter sind zwei Volleyballfelder und der Sandstrand. Richard ist voller Vorfreude. Allerdings stellt sich bald Ernüchterung ein, als er von Spielzeug zu Spielzeug rennt. Denn anders als in Dresden wird hier Spielzeug scheinbar bis aufs Blut verteidigt. Eine Familie finden wir dann doch noch, und Richard kann endlich eine Sandburg bauen (sind bestimmt Touristen).

Erwähnenswert ist noch der Gestank! Scheinbar gibt es hier keine öffentlichen Toiletten. Auf allen Straßen im Umkreis stinkt es nach Urin. Manchmal kann man ihn sogar im Rinnsal erahnen. Hier möchte man definitiv nicht hinfallen! Aber so ist das halt – andere Länder, andere Sitten. Hat ja auch was für sich. Zumindest, wenn man mal dringend pinkeln muss. In dem Zusammenhang darf ich nicht vergessen, die einfallsreichen Reparaturmechanismen der Marseillais zu erwähnen. Wie eigentlich überall in Südeuropa wird auch hier geklebt und geschnürt was das Zeug hält. Ohne Gaffa ist man hier aufgeschmissen. Autospiegel und -fenster, unser Doppelstockbett… alles mit Gaffa geklebt. Vorhin sind wir mit dem Bus an einem chinesischen Restaurant vorbeigefahren, an dem gerade die Leuchtreklame mit Schnur an der Aussenwand befestigt wurde.

Am Nachmittag werden wir wohl einfach nochmal zum alten Hafen laufen. Unterwegs sind sehr viele Stände aufgebaut. Das wird bestimmt interessant. Ausserdem juckt es Madeleine schon in den Fingern. Überall Schnäppchen, und wie der Zufall es will, sind Richards Sachen schon wieder sehr eng geworden. icon smile Plage de Catalans

Richard ist definitv wieder gesund. Als wir auf die Straßenbahn warten fängt er an im Humpelschritt eine invalide Taube nachzuäffen. Der Rest des Weges bleibt genauso amüsant. Der kleine Kerl ist wieder fit! Am Hafen angekommen kann ich Madeleine an den Schnäppchenbuden vorbeischleusen, indem ich ihr verspreche, dass wir wieder zurückkommen. Andernfalls würden wir den Hafen wohl erst zum Sonnenuntergang. Wir stoßen seitlich aufs Hafenbecken und halten direkt auf Fort Saint Jean zu. Wenn wir Glück haben, erwartet uns dort eine Panoramaaussicht auf Marseille und ein wundervoller Sonnenuntergang. Als wir die Treppen zur Église Saint-Laurent hinaufsteigen, werden wir mit Ersterem belohnt: im Vordergrund das Hafenbecken, im Hintergrund die Berge und dazwischen ein Häusermeer in allen möglichen Varianten. Die Basilika Notre-Dame-de-la-Garde darf in dieser Komposition natürlich nicht fehlen.

Oben angekommen führt eine Brücke über das Fort Saint Jean zum MuCEM, welches uns ebenfalls wärmstens ans Herz gelegt wurde. Leider sind wir zu spät dran und werden nicht mehr auf die Brück gelassen. Das werden wir aber sicher noch nachholen. Ein Stück weiter können wir aber noch einen Blick auf den Norden Marseilles werfen. Das Zentrum der Stadt ist klein und überschaubar, aber durch die beiden Panoramaaussichten sieht man erst mal, wie weit die Stadt noch in die umliegenden Berge hineinreicht. Auf der Mauer sitzen merklich viele gestrandete Gestalten mit Bier und Kippe. Als einer von ihnen neben uns ordentlich losrülpst, die Luft verpestet und Richard in ihm scheinbar ein neues Imitationsobjekt gefunden hat, drehen wir um. Madeleine bemerkt bei dieser Gelegenheit, dass sie sich wieder nach den Straßen in Dresden sehnt, und dass sie sich nie wieder über die Hundekacke in Pieschen aufregen wird. icon smile Plage de Catalans

Das ist übrigens eins der Wörter, die Richard heute gelernt hat: ‘Kacke’. Das lässt sich hier ohne fehlenden Realitätssinn leider nicht vermeiden.

Zurück auf der Aussichtsplattform mache ich noch ein Bild von Richard und Madeleine an einer schicken Statue. Scheinbar sind sie die ersten, die zu dieser hochklettern. Auf jeden Fall macht unser Beispiel Schule und als ich mich auf dem Rückweg nochmal umdrehe, hängen auf einmal fünf Kinder an ihr. Ich hoffe sie überlebt es.

Zurück in der Canebière kommen wir wieder an diesem schicken alten Karussell vorbei. Da wir heute mal zu dritt sind, gönnen wir Richard den Spaß. Ein Fahr für ihn und Madeleine kostet zwei Euro. Na dann los! Ab Mitte der Fahrt wird Madeleine ganz ruhig und ist froh, dass es bald vorbei ist. Aber auch Richard hat ordentlich Respekt und schaut ganz konzentriert drein.

Als wir den Hafen hinter uns lassen, biegen wir auf der Höhe von Noailles nochmal in einen Seitenstraße. Vielleicht finden wir ja doch noch ein Spielzeug für Richard, was wir demnächst mit auf Tour nehmen können. Als wir die Hauptstraße verlassen haben, scheint es, als ob wir eine andere Welt betreten. Es ist düster und die enge Straße voller Menschen. Linkerhand sind haufenweise Lebensmittel- und Rammschläden. Davor preisen beiderseits Meter für Meter einzelne Personen ihre Waren vom Boden oder aus Pappschachteln an. Elektronikmüll, Uhren- und Schmuckimitate, Kleidung – ich komme mir vor wie auf einem Bazar im Maghreb, welcher in Marseille sowieso sehr stark vertreten ist.

In einem der Rammschläden werden wir fündig. Für 3,90€ ergattern wir einen kleinen Schaumstoffball für Richard, der prima in der Kraxe zu verstauen ist und sicher auch am Strand eine gute Figur macht. Ein paar Meter weiter sind wir schon wieder auf der Hauptstraße und damit fast zu Hause.

Richard ist gesund, nach einer Woche Marseille haben wir uns mehr als eingewöhnt und das Wetter erinnert stark an einen deutschen Sommeranfang. Ich würde sagen, heute hat unser Urlaub angefangen!

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