Fauler Freitag

This entry is part 14 of 22 in the series Marseille
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Musiker unter sich

Freitag, 14. März 2014:

Heute ist wirklich nichts los. Nachdem früh das Internet wieder funktioniert, setze ich mich erst mal an mein Tagebuch. Als Madeleine und Richard müde aus dem Schlafzimmer kommen, wird gefrühstückt. Wenig später klingelt es auch schon. Antonia vom Götheinstitut steht vor der Tür. Sie ist mit Madeleine zu einem Interview auf unserem Balkon verabredet und hat noch ein paar Croissants mitgebracht.

Während des Interviews hüpft der Sack Flöhe quietschvergnügt durch die Wohnung. Auf der Terrasse auch mal oben ohne. Als das Interview vorbei ist, ist es auch schon fast Mittag. Wir bringen Madeleine trotzdem noch zur U-Bahn, um wenigstens mal kurz draußen gewesen zu sein. Auf dem Heimweg stecke ich unsere Postkarten noch in den Briefkasten. Es gibt zwei Einwürfe mit scheinbar unterschiedlicher Bedeutung. Egal wie lange ich dastehe, die Erleuchtung bleibt aus. Ich nehme den 50/50 Joker und werfe die Briefe einfach ein.

Als wir wieder zu Hause sind, ruft auch schon der Vermieter an. Er ist sauer! Wir haben heute Antonia berichtet, was hier alles nicht geht. Aber eigentlich nicht, um uns zu beschweren. Sie sieht das allerdings anders. Verständlich, sie muss die Wohnung ja auch bezahlen. Unser Vermieter war nun seinerseits sauer, weil er dachte, wir haben uns über ihn beschwert und eine Mietminderung kommt für ihn nicht in Frage… blabla… Wir machen einen Termin für Nachmittag aus, während meiner Mittagspause :’(

Franzosen (und scheinbar auch seit vielen Jahren hier lebenden Deutsche) habens ja nicht so mit der Pünktlichkeit, und so ist die Mittagsruhe sowieso schon vorbei, als er klingelt. Richard beobachtet gespannt das Geschehen. Fazit: wir lassen uns nochmal den Spülautomaten erklären, die Waschmaschine wurde gestern schon repariert und wegen Backofen und Klimaanlage sollen wir einfach bescheid sagen. Damit hätten wir erst mal alles geklärt, und die Lage ist wieder entspannt.

Wir bewegen uns ganz langsam Richtung Hafen. Richard findet es zwischendurch am schönsten, wenn er Treppen hoch und runterlaufen kann (oder wahlweise auch über die Straßenbahngleise). Bei einem Geigenspieler halten wir an und Richard spendet ein bisschen Geld. In einer Seitenstraße der Canebieré entdecken wir endlich den Grund, warum man in Marseille gut shoppen kann. Hier ist eine Boutique nach der anderen. Am Ende der Straße erfahren wir noch, das hier selbst Stradivarius inklusive Notenschlüssel nichts mit Musik zu tun hat.

Ein Gutes hat dieser Ausflug in die Gassen der Shopaholics schon – wir entdecken den ersten Bastelladen. Dort bekommen wir sogar Pustefix und was zum Malen. Leider wirken die Verkäuferinnen auf uns irgendwie feindselig. Vielleicht liegt es ja daran, dass ich auf sie nicht wie der typische Scherenschnittfan wirken. Zweite Erklärung: Bastelläden werden überwiegend von Feministinnen geführt (ein ähnliches Erlebnis hatte ich auch schon in Dresden). Kurz vorm Hafen entdecken wir sogar einen Buchladen. Und ich dachte schon sowas gibt es hier nicht. Allerdings war es im Laden sehr ernüchternd. Ich weiß nicht, was ich mir vorgestellt habe, aber hier gibt es nur französische Bücher! icon smile Fauler Freitag

Wir stoßen diesmal von links aufs Hafenbecken. Direkt vor uns ist das tolle “Spiegeldach”. Keine Ahnung wie man das nennt. Auf jeden Fall sieht es sehr verwirrend aus, wenn sich darin das Meer spiegelt. Die Sonne geht gerade unter und Richard darf endlich aus der Kraxe raus. Er hat nichts für so ‘nen romantischen Kram wie einen Sonnenuntergang drüber und stattdessen nur die Rolltreppe zur Metro im Sinn. Nach ein paar Runden kann ich mit ihm trotzdem nur unter Tränen weiterziehen. Schnell noch ein paar Postkarten besorgt und auf nach Hause. Für einen entspannten Abtransport verspreche ich ihm eine Runde Karussell. Erst ist er enttäuscht davon, dass wir einfach am Riesenrad vorbeigehen (denn das ist ja nicht das Karussell und ausserdem viel teurer). Als er aber das Karussell entdeckt ist er nicht mehr zu bremsen. Er rennt die ganze Strecke schreiend und lachend.

Die Karussellrunde war wirklich ne tolle Sache. Leider scheinen wir mit dem Alter die Resistenz gegen Fliehkräfte zu verlieren. Nachdem ich die Gondel in schnelle Rotation versetzt hatte, fühlte ich mich, wie nach einem halben Kasten Bier. Zum Glück war nach unserer Tour auch für den Karussellbetrieb Feierabend. Eine weitere Runde hätte ich nur mit heftiger Übelkeit durchgestanden.

Erwähnenswert für Marseille (und wahrscheinlich für ganz Frankreich) ist übrigens der Tabakkonsum. Soviele Raucher habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Dabei sind selbst rauchende Eltern mit Kind bzw. Baby – ein Anblick, den man in Deutschland nur noch selten hat – die Regel. Interessanterweise gibt es aber auch viele E-Raucher. Bei uns hat sich die E-Zigarette ja nicht so richtig durchgesetzt, aber hier scheint sie eine echte Alternative zu sein. Zweite Alternative ist scheinbar Gras. Das steigt einem hier auch öfter in die Nase. Antonia meinte heute früh zwar, dass Cannabis verboten ist und auch streng geahndet wird, und laut Auskunft der Polizei (Madeleine führte gestern ein Interview) wird da sehr genau drauf geachtet, aber ich erlebe das anders. Allein bei unserem Nachmittagsspaziergang hatte ich ca. 15 mal Gras in der Nase. Darum würde ich das eher mit dem Verhalten bei roten Fussgängerampeln vergleichen.

Als Madeleine zu Hause ist, bricht endlich unser zweites Wochenende an. Zur Feier des Tages gibt es Pizza!

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